Wieviel Praxiserfahrung benötigt man für einen Einstieg in die IT-Welt? Muss man als Recruiter Programmieren lernen? Wie behält man im Buzzwordschungel noch einen Überblick? Antworten hierzu liefert uns Marina Wottschal in folgendem Beitrag:
Wer bist du und was machst du?
Ich bin Marina Wottschal. Ich arbeite bei der codecentric AG in München und verantworte dort den Bereich des Talent Acquisition Managements und Recruitings in Bayern, sprich: ich werde dafür bezahlt Menschen zu überzeugen bei uns zu arbeiten.
Was macht denn die codecentric AG?
Die codecentric AG ist ein Individualsoftware-Dienstleister und eine IT-Beratung. Immer wenn Kunden ein Problem haben, das sie mit einem Standardprodukt nicht lösen können, kommen wir ins Spiel und schneidern eine individuell passende Lösung den Kunden auf ihr Leib. 😉
Habt ihr auch einen typischen „Techstack“ bei der codecentric AG?
Grundsätzlich sind wir erstmal für alles offen. Allerdings haben wir schon Schwerpunkte. Technologien, die wir regelmäßig nutzen: Java, Kotlin, Scala, häufig auch in Kombination mit Spring Boot. Wir nutzen dabei auch oft moderne Architekturpattern wie zum Beispiel Microservices und Self-Contained Systems. Wir sind in diesem Fall dann vorwiegend in der Cloud-Native-Entwicklung unterwegs. Bei der Wahl der Cloud sind wir agnostisch unterwegs. Egal ob AWS, Azure oder die Google Cloud Platform. Wir bedienen uns hierbei einem breiten Spektrum um so den Kundenwünschen gerecht zu werden und die beste Lösung über alle Anbieter hinweg für die Aufgabenstellung gemeinsam zu einzusetzen. Im Frontend setzen wir stark auf etablierte JavaScript-Frameworks wie Angular, Vue.js oder React.
Welche Position muss gerade besonders dringend bei euch besetzt werden?
Der Druck ist immer gleich stark. Wir suchen ja ständig Software-Entwickler*innen, d.h. wir haben nicht 20 Positionen ausgeschrieben, sondern wir haben uns dieses Jahr zum Ziel gesetzt 20-30 Leute einzustellen. Und wann immer wir einer Person finden, die passt, stellen wir die Person ein.
Wie wichtig sind euch die Zertifikate der Bewerber?
Ich höre nach dem Lebenslauf auf zu lesen, denn da muessen alle relevanten Informationen drin stehen. Was auch immer für Zeugnisse und Zertifikate dabei sind: Häufig sehe ich sie überhaupt gar nicht mehr. Manchmal öffne ich die Unterlagen ein drittes oder viertes Mal und stelle dann erst fest: oh! Das sind ja 40 Seiten. Ups! Ich habe nur die ersten vier Seiten gelesen, weil dann hat es aufgehört relevant zu sein.
Folgende Sachen sind wichtig: egal in welcher Art und Weise man mit Programmieren und Software-Entwicklung zu tun hatte: Udemy Kurs, Hackathon, Open-Source-Kontributionen, ein privates Projekt oder eben irgendeine Art von Zertifizierung bei der eine externe Person bestätigt, dass man etwas gelernt hat. Das würde ich auf jeden Fall immer hinzufügen in den CV. Alles was unter Beweis stellt, dass man Programmieren oder Software entwickeln kann, würde ich hinzufügen. Selbst wenn man kein Zertifikat hat.
Vorausgesetzt man ist gerade am Anfang der Karriere und hat nicht 20 Jahre Berufserfahrung. Leute mit viel Erfahrung können die Zertifikate auch weglassen. Bei Berufserfahrung kommt es viel mehr auf die tatsächliche Tätigkeit und die Projekthistorie an.
Referenzprojekte oder Praxiserfahrung in jeglicher Form machen Bewerber*innen also deutlich interessanter als einfach nur eine Liste von Zertifikaten?
JA! Ich finde es z. B. spannender Code bei Github zu sehen als einfach nur ein Zettel auf dem steht, dass man irgendwas gecodet hat. Ich würde allen Bewerber*innen empfehlen so viel wie möglich von eigenem Code öffentlich verfügbar zu stellen. Egal wie schlecht der Code ist: man hat dann immerhin schon einen Einstiegspunkt für das Bewerbungsgespräch. (lacht)
Was sind deine Tipps, wie Bewerber*innen Praxiserfahrung sammeln können?
Nehmen wir mal an, die Bewerber*in findet kein Unternehmen für eine Einstiegsposition.
Ich empfehle hier Bewerber*innen, dass sie jegliche Art von IT-Dienstleistern kontaktieren und sich zu bewerben. Vor allem IT-Dienstleister mit vielen Mitarbeiter*innen oder größeren Projekten sind hier besonders interessant, weil man hier viel lernen kann und die meisten IT-Dienstleister auch bereit sind, viel in ihre Talente zu investieren, um sie weiterzuentwickeln.
Auch dadurch, dass man bei IT-Dienstleister alle 1,5 Jahre einen anderen Kunden / ein anderes Umfeld sehen kann, sammelt man dort viel Praxiserfahrung.
Um bei den IT-Unternehmen einen Fuß in die Tür zu bekommen, benötigt man nicht immer ein Informatik-Studium. Dafür gibt es auch andere Möglichkeiten, um sich zu beweisen bzw. Praxiserfahrung zu sammeln: Man sollte jegliche Art von Hackathons mitnehmen. Hier kann man sich für ein Wochenende / ein paar Tage auf ein Thema konzentrieren und es auch umsetzen. Alternativ kann man auch privat ein eigenes Projekt auf die Beine stellen. Das kann eine einfache App sein, oder eine Bewerbungswebsite. Ein Projekt, das einen Mehrwert erfüllt und ein Problem löst. Darauf kommt es in der IT an, dass man viele Probleme zu lösen hat. Je relevanter die Probleme, desto besser. Auch NGOs oder Vereine haben einen riesen Bedarf an digitaler Unterstützung. Sie kann man oft auch ehrenamtlich unterstützen, um damit Praxiserfahrung zu sammeln. Das bringt den Bewerber*innen und eventuell auch die Gesellschaft weiter. Ansonsten kann man natürlich auch die aktuellen Angebote nutzen, um sich als Quereinsteiger in die IT ausbilden zu lassen.
Wie war es denn bei dir? Wie bist du in die IT gekommen? Hast du für deinen Job Informatik studieren müssen?
Nein, ich habe Betriebswirtschaft mit technischer Chemie studiert. Etwas, das ich womöglich nie wieder brauchen werde, fürchte ich. (lacht)
Wie bist du dann zu deiner aktuellen Position gekommen?
Im Verlauf des Studiums habe ich irgendwann gemerkt, dass Personalarbeit besonders spannend für mich ist. Weil hier kann man am meisten beeinflussen, ob ein Unternehmen erfolgreich ist und man hat den größten Hebel, wenn es darum geht die Kultur zu verändern und wenn es darum geht die Zukunft des Unternehmens mitzugestalten.
Das erste Unternehmen bei dem ich als Werkstudentin anfangen konnte, war ein IT-Unternehmen. Und so bin ich – wie die Jungfrau zum Kind – in diese Branche gekommen und in der IT-Branche geblieben. Ich denke, es gibt recht wenige Branchen, die so offen sind für Menschen und wo Arbeitnehmer*innen so gut behandelt werden und die einfach so egalitär sind.
Deshalb kann ich es jedem empfehlen, der aktuell noch nicht in der IT-Branche arbeitet, schnellstmöglich in die IT-Branchen wechseln sollte. Es ist einfach ein sehr tolles Menschenbild, das die IT-Branche prägt.
Wie bin ich zur codecentric AG gekommen? Ich war vorher schon bei einem IT-Dienstleister und war selbst Kunde der codecentric AG. Dadurch habe ich die Firma gekannt. Und als dann irgendwann der Wechsel anstand, dachte ich mir: ich möchte irgendwann mit einem Unternehmen zusammenarbeiten, in dem bereits schon richtige gute Leute arbeiten von denen ich auch noch was lernen kann. Und ich lerne jeden Tag dazu. (lacht)
Wie viel muss man also von der IT wissen, um in meiner Position arbeiten zu können?
Ich glaube, man muss nicht selbst Programmieren können. ABER: man braucht unglaublich viel Wissen über Zusammenhänge. Man muss ganz viele Buzzwords einordnen können und verstehen, was sie für die Gegenseite bedeuten. Die IT ist leider voller Buzzwords. Und gefühlt kommt jede Woche ein neues Buzzword hinzu.
Und das Lustige ist, wenn man es von außen betrachtet, als jemand der selber nicht tief in der Technik ist, dann denkt man sich: wow! Das ist ja krass! Die kennen alle diese Buzzwords und ihre Bedeutung. Aber: wenn dann die Entwickler*innen unter sich sprechen, dann wissen sie es oft auch nicht. (lacht)
Alles zu kennen und alles zu können ist unmöglich.
Aber es hilft eine Übersicht zu haben. Und gerade als ich angefangen habe, fand ich es wahnsinnig schwer, denn: wenn man z. B. sich selber die Erklärung von Angular im Internet zusammensucht, dann findet man oft: aha, das ist also ein Framework. Aber: was zum Teufel ist denn ein Framework und wofür braucht man das überhaupt!? Und dann googelt man drei weitere Begriffe und stellt fest, dass man plötzlich 20 weitere Begriffe nicht versteht, und gibt dann schnell auf, weil die Frustration dabei einfach oft schnell zu hoch wird. Was man eigentlich bräuchte, wäre eine kurze Definition, eine Einordnung, einen Zusammenhang, einen Vergleich, einfach: Meta-Wissen und nicht nur Information. Und das was man oft im Internet findet ist einfach nur Information und kein Wissen.
Deshalb braucht man viel Wissen in meiner Position, aber um an das Wissen zu kommen, ist extrem schwierig.
Ich kenne kaum Formate bei denen Menschen, die nicht Programmieren wollen, die nicht in der IT sind, sondern eher im Marketing, im Recruiting, im Vertrieb, so aufgegleist werden, dass sie das lernen, was technisch für sie relevant ist. Daher ist das Angebot von COOK and CODE so wertvoll!
Du hast selbst unseren Crashkurs „Programmiersprachen Roundhousekick“ besucht bei dem wir genau über solche Buzzwords sprechen und sie so anfängerfreundlich wie möglich darstellen. Was war deine Motivation, warum du unseren Workshop besucht hast?
Ich schwimme oft in meiner eigenen Suppe. Bisher war ich häufig in Firmen tätig, die eher Java als Programmiersprache einsetzen. Aktuell haben wir recht wenig PHP oder C# im Einsatz. Das Angebot fand ich einfach spannend, weil es jemand erzählt, der nicht in der gleichen Umgebung arbeitet, sondern auch Erfahrungen aus anderen Branchen/Bereichen mitbringt. Vor allem auch der Komplettüberblick, den man bekommt, um Dinge gut einordnen zu können: genau das braucht man als IT-Recruiter!!
Weil wenn ich Lebensläufe lese und ein Bewerber hat 13 Jahre C++ programmiert und während dem Studium wurde eventuell kurz Java behandelt, dann macht es aus ihm definitiv kein Java Entwickler und er wird es dann auch nicht so leicht werden.
Viele IT-Recruiter und Headhunter tun sich einfach wahnsinnig schwer, weil sie Technologien nicht einordnen können. Weil sie nicht nachvollziehen können wie leicht oder schwer es ist, zwischen den verschiedenen Ökosystemen zu wechseln. Und auch welche Bereitschaft auf der Bewerber*innen/ Unternehmerseite dabei mitgebracht werden muss. Weil: lernen kann man alles! Die Frage ist nur, ob man es will und ob man die Zeit dafür hat.
Die Erfahrung, die wir machen: Menschen holen sich die Informationen, die sie benötigen, und kommen oft an Punkte, die sie blockieren und die sie selbst nicht lösen können. Das führt dann zu einer hohen Frustration, die dann dazu führt, dass die Menschen sich nicht mehr die benötigten Informationen holen und aufgeben. Daher passen wir unser Kursangebot gerade an und bieten vermehrt mehr projektbasiertes Lernen an. Damit kann man dann die Leute an der Hand nehmen und bei ihren Projekten begleiten. Sie lernen also durch ihr eigenes Tun. Du sagst zwar, dass man nicht Programmieren lernen muss, aber würdest du sagen, dass das Lernen des IT-Wissens nachhaltiger ist, wenn man das durch eigene Projekte unterstützt?
Ich glaube, es hilft, weil dann versteht man dann auch was es mit dieser Objektorientierung auf sich hat. Was ist eigentlich diese testgetriebene Entwicklung (TDD)? Das erste Mal als ich testgetriebene Entwicklung in Aktion gesehen habe, weil ich den Leuten zusehen durfte, wie sie programmieren, dann ist bei mir das Licht aufgegangen! Und mir wurde vollkommen klar, warum es Sinn macht und was es für Vorteile hat. Gerade, wenn man nicht nur programmiert, sondern auch selbst eine Versionsverwaltung wie GIT verwendet und dabei sogar in einer Art Sprint arbeitet und dabei sogar jemand den Product Owner oder dergleichen spielt, kann man extrem viel Wissen, sehr tief vermitteln. Weil: man hört nicht nur ein Buzzword, sondern man macht diese Erfahrung -> Wofür ist eine Versionsverwaltung wichtig? Wofür ist Testing wichtig? Und daher sind solche projektbezogenen Formate Goldwert.